Dem Verschleiß können wir nicht entrinnen. Dies gilt für das Hüft- und Kniegelenk, aber auch für die Wirbelsäule. Verschleiß ist ein physiologischer Alterungsprozeß und als solcher erst einmal auch nicht krankhaft. Es gibt aber bestimmte Konstellationen, da verursacht Verschleiß eben doch Beschwerden.
Neben der verschleißbedingten Kompression von Rückenmark oder einzelnen Nervenwurzeln (z.B. Spinalkanalstenose) und entzündlich aktivierten Arthroseveränderungen an Wirbelkörpern oder Facettengelenken ist die dritte Möglichkeit, wie Verschleiß an der Wirbelsäule zu Beschwerden führen kann, die Ausbildung einer segmentalen Instabilität.
In der aktuellen Ausgabe von IM FOKUS möchten wir Ihnen einen Überblick über die Entstehung, Symptome, Diagnostik und Behandlung der segmentalen Instabilität der Wirbelsäule geben.
Beim physiologischen Alterungsprozeß der Wirbelsäule kommt es zu einer immer wiederkehrenden „Verschleißkaskade“:
Am Anfang steht der Verschleiß der Bandscheibe. Hier kommt es zu einer verminderten Wasserbindungs-Kapazität des Bandscheibenkerns, der dadurch seine Aufgabe als effektiver Puffer zwischen zwei benachbarten Wirbelkörpern nicht mehr ausüben kann. Die Bandscheibe verliert an Höhe und wird spröde.
Durch eine mechanische Überlastung kann es hier erstmalig zu Beschwerden durch eine entzündliche Erkrankung der benachbarten Wirbelkörperendplatten kommen, den sogenannten „Modic 1“-Veränderungen.
„Modic 1“ beschreibt dabei die akut entzündliche Reaktion, die sehr stark mit Schmerzen korreliert.
Die Erkrankung schreitet dann fort hin zu „Modic 2“ (Umwandlung des betroffenen Knochenmarkes in Fettmark) und „Modic 3“ mit Sklerosierung der Wirbelkörperendplatten und schließlich der schmerzlosen, „segensreichen“ Einsteifung.
Durch den Höhenverlust der Bandscheibe nähern sich die beiden benachbarten Wirbel, zwischen denen die betroffene Bandscheibe liegt, einander an - ihr Abstand zueinander verringert sich. Dies hat zugleich mehrere morphologische Veränderungen zur Folge: Zunächst kommt es zur Vorwölbung der Bandscheibe. Nachfolgend rutschen die Gelenkfortsätze der kleinen Wirbelgelenke ineinander, das sogenannte „Teleskop-Phänomen“. Dadurch stimmt das Gelenkspiel nicht mehr und es kommt zu einem vorzeitigen Knorpelverschleiß. Durch den Höhenverlust lässt schließlich die Spannung der Fasern des Anulus fibrosus nach, das gesamte Segment aus zwei benachbarten Wirbeln und dazwischen liegender Bandscheibe verliert an Stabilität.
Glücklicherweise gibt es in der Regel Gegenmaßnahmen, die der Körper in die Wege leiten kann, um die Instabilität zu bekämpfen. Hierzu kann er Knochen an den kleinen Wirbelgelenken anbauen (Spondylarthrose), um so deren Beweglichkeit einzuschränken und Bänder verdicken und verstärken, hier am ehesten das Ligamentum flavum.
Durch die Verknöcherung der kleinen Wirbelgelenke und die verdickten Bänder kann es jedoch zur Kompression von Nervenfasern oder sogar des Rückenmarkes kommen, deren zur Verfügung stehender Platz im Spinalkanal durch die Vorwölbung der höhengeminderten Bandscheibe bereits reduziert ist. Außerdem kann es zur Kompression einzelner Nervenwurzeln auf Höhe ihrer Nervenaustrittslöcher, den sogenannten Neuroforamina kommen.
Eine solche Neuroforamenstenose führt zu Schmerzen im Dermatom der betroffenen Nervenwurzeln. So führt eine Kompression der L5-Wurzel beispielsweise zu Schmerzen im Gesäß, seitlichen Ober- und Unterschenkel bis in die Großzehe der betroffenen Seite. Bei höhergradiger Kompression treten mitunter auch Dysästhesien und auch Lähmungserscheinungen im dazugehörigen Kennmuskel hinzu. Für die L5-Nervenwurzel wären dies der M. gluteus maximus und der M. extensor hallucis longus mit einer Schwäche der Hüftabspreizung und der Fußhebung.
Eine Kompression mehrerer Nervenwurzeln im Spinalkanal – eine sogenannte Spinalkanalstenose – führt entweder zu Nervenwurzelkompressions-Syndromen wie oben bei der Foramenstenose beschrieben – oder zur Claudicatio spinalis oder „Schaufensterkrankheit“, die sich durch belastungsabhängige Schmerzen in den unteren Extremitäten und Schweregefühl der Beine äußert, wodurch regelmäßige Pausen notwendig werden.
In der Regel hilft es dabei, sich nach vorne zu beugen, dies spannt das Ligamentum flavum an, wodurch sich der Spinalkanaldurchmesser etwas erhöht.
MRT-Sagittalschnitt mit degenerativ bedingter Instabilität im Segment L4/5. Der Spinalkanal dahinter ist massiv eingeengt, die Kaudafasern werden auf dieser Höhe komprimiert.
Diese Antagonisierungsmechanismen des Körpers können das betroffene Segment wieder stabilisieren und führen schlussendlich zur Einsteifung des Bewegungssegmentes. Man spricht dabei auch von einer „segensreichen Versteifung“.
Diese Versteifung bedeutet zwar einen Verlust an Beweglichkeit (wie alle Menschen in höherem Lebensalter ihn erfahren) aber erstens ist dies ein guter Tausch gegenüber fortgesetzten Schmerzen, zweitens gibt es Nachbarsegmente, welche den Ausfall eines Segmentes recht gut kompensieren können.
Manchmal kommt es aber nicht oder nicht schnell genug zu diesen stabilisierenden Veränderungen. Das Segment wird zusehends instabiler, der Körper kommt mit der „Reparatur“ nicht hinterher und schlussendlich entwickelt sich eine Makroinstabilität, bei der sich zwei Wirbel tatsächlich gegeneinander verschieben.
Findet diese Bewegung nach vorne oder hinten statt, spricht man von einer Spondylolisthese. Eine instabile Spondylolisthese liegt vor, wenn sich ein Wirbel gegenüber dem darunter liegenden in Vorneige um mindestens 3mm verschiebt. Findet die Bewegung eher zur Seite oder in einer Rotationsbewegung um die eigene Achse statt, spricht man von „Drehgleiten“.
Solche Instabilitäten haben vielfältige negative Folgen für den betroffenen Patienten.
Bei der Spondylolisthese wird das Schwerelot nach vorne verschoben. Hierdurch wird die Rückenmuskulatur chronisch überfordert. Ähnlich wie bei einem Kran, dessen Last entlang des Lastarms weiter weg vom Sockel gefahren wird, muss das Gegengewicht auf der anderen Seite erhöht werden, damit der Kran nicht nach vorne kippt.
Das „Gegengewicht“ sind in diesem Falle die Rückenmuskeln. Der Körper hat nun die Möglichkeit, diese Verschiebung des Schwerelots nach vorne durch ein „Nach-vorne-Kippen“ des Beckens und ein dadurch verstärktes Hohlkreuz zu korrigieren. Man nennt dies eine „kompensierte sagittale Dysbalance“.
Wenn dieser Kompensationsmechanismus aber nicht mehr funktioniert, etwa weil die Wirbelsäule bereits alt und relativ unbeweglich geworden ist, bleibt dem Körper nur noch eine Möglichkeit: Er muss das Becken nach hinten kippen, das Hohlkreuz der Lendenwirbelsäule quasi aufheben, so dass die Wirbelsäule relativ gerade wird. Auch dadurch kann das Körperschwerelot nach hinten verlagert werden, aber der Preis ist hoch. Es kommt zu einer Beugefehlstellung in Hüfte und Knie und aufgrund der Steilstellung der Wirbelsäule können axiale Belastungen nicht mehr effizient abgefedert werden.
Die Bilder zeigen eine instabile Spondylolisthese in den Segmenten L3/4 und L4/5. Die sagittale Balance ist nicht kompensiert, durch Beckenreklination und Abflachung der lumbalen Lordose wird vergeblich versucht, die Fehlstatik zu kompensieren. Eine Reklinationsbewegung ist folgerichtig gar nicht mehr möglich.
Beim Drehgleiten, also einer Transversalverschiebung zweier Wirbel schneidet das Körperschwerelot die Wirbelsäule nicht mehr zentral sondern etwas verschoben auf der Konkavseite der entstandenen Krümmung. Hierdurch kommt es zu einer Überlastung der auf der Gegenseite liegenden Muskulatur. Wird diese muskuläre Insuffizienz nicht korrigiert, schreitet das Drehgleiten fort und darüber und darunter liegende Segmente werden ebenfalls ein Drehgleiten entwickeln. So entsteht eine sogenannte degenerative oder „de novo“-Skoliose, die so heißt, um sie von angeborenen kindlichen Skoliosen abzugrenzen.
Auf diesen Bildern erkennt man eine Kombination aus einem Drehgleiten im Segment L3/4 und einer instabilen Spondylolisthese im Segment L4/5
Solche Verschiebungen der Körperachse und die dadurch bedingte muskuläre Überlastung mit Rückenschmerzen lassen sich durch entsprechendes muskuläres Training bis zu einem gewissen Grad kompensieren. In der Regel lassen durch die Instabilität bedingte Rückenschmerzen durch gutes muskuläres Training und den Ausgleich muskulärer Dysbalancen nach. Aber auch hier ist es eine Frage der Trainingsintensität und der Belastbarkeit des Organismus.
Ein Patient mit einem erkrankten Herzen wird das Training womöglich nicht in der geforderten Intensität durchführen können.
Ein weiterer Aspekt der Instabilität ist die Kompression von Nervenstrukturen mit entsprechenden Schmerzen und ggf. auch Taubheitsgefühlen und Lähmungserscheinungen. Diese Nervenkompression findet oft neuroforaminal statt, bei der Spondylolisthese beidseitig beim Drehgleiten auf der Konkavseite der entstandenen Krümmung. Aber es kann durch die Gleitbewegung natürlich auch zur Kompression von Nervenfasern im Spinalkanal kommen. Meistens sind es Nervenkompressions-Syndrome, welche die PatientInnen schlussendlich zum Arzt führen.
Ein gutes Behandlungsergebnis lässt sich dann meist durch die Diagnose von Nervenkompressions-Syndromen und eine entsprechende medikamentöse und physiotherapeutische Therapie erreichen.
Von unschätzbarem Wert ist dabei die bildgestützte Injektionsbehandlung. Unter CT- oder Bildwandlerkontrolle können Injektionen direkt an das zu enge Neuroforamen gesetzt werden. Diese „PRTs“ sind die einzige Möglichkeit abseits der operativen Behandlung direkt am Ort der Schmerzentstehung zu behandeln und sollten daher frühzeitig zum Behandlungskonzept gehören.
PRT (Periradikuläre Therapie)
Wird eine bestimmte Nervenwurzel im Spinalkanal oder Neuroforamen komprimiert und damit gereizt, kann durch eine PRT eine schnelle und effektive Schmerzlinderung erzielt werden. Bei der PRT wird unter CT-Kontrolle eine sehr dünne Nadel in unmittelbarer Nachbarschaft der betroffenen Nervenwurzel platziert und anschließend eine Mischung aus einem Lokalanästhetikum und einem kristallinen Kortison injiziert. Dadurch kommt es zur Rückbildung der Wurzelschwellung und so zu einer deutlichen Schmerzlinderung. Es werden in der Regel drei bis vier Behandlungen jeweils im Abstand von einer Woche durchgeführt, um eine Schmerzreduktion oder sogar Schmerzfreiheit zu erreichen.
Das CT-Schnittbild zeigt, wie das verabreichte Kontrastmittel durch das Neuroforamen nach intraspinal peridural fließt.
Sollte die konservative Therapie die Beschwerden nicht suffizient reduzieren können oder kommt es durch die Kompression von Nervenwurzeln zu Lähmungserscheinungen oder ist die Deformität progredient, so rücken operative Therapieoptionen in den Fokus.
Um sich die Zielsetzung der operativen Therapie klarzumachen, muss man die Probleme benennen, mit denen man es im Falle einer segmentalen Instabilität zu tun hat: 1) Durch die Kompression von Nerven kommt es zu Schmerzen und neurologischen Ausfallerscheinungen im Bein. 2) Durch die Verschiebung des Körperschwerelots (entweder nach vorne oder zur Seite) kommt es zu muskulärer Überlastung. 3) Durch die Instabilität, d.h. die pathologische Beweglichkeit zweier Wirbel zueinander kommt es zu Schmerzen. Demzufolge sind die Ziele der operativen Therapie: 1) Dekompression von Nervenstrukturen, 2) Wiederherstellung biomechanisch günstiger Verhältnisse, 3) Wiedererlangung von Stabilität. Hierfür sind eine Reihe unterschiedlicher Operationsverfahren geeignet.
Die am häufigsten angewandte Technik ist die sogenannte TLIF (=Transforaminale Lumbale Interkorporelle Fusion). Die Operation erfolgt von hinten, dabei werden zwei benachbarte Wirbel über ein Schrauben-Stab-System mit einander verbunden (den sogenannten Fixateur interne) über den eine Reposition von Fehlstellungen – also die Wiederherstellung biomechanisch günstiger Verhältnisse und die Wiedererlangung von Stabilität erreicht werden können. Die Dekompression eingeengter Nervenstrukturen gelingt entweder indirekt – durch die Reposition von Fehlstellungen und Distraktion über das Schrauben-Stab-System können Engstellen, vor allem der Neuroforamina beseitigt werden – oder direkt, d.h. der enge Spinalkanal oder eingeengte Nervenwurzeln werden durch Wegnahme von Knochen und Bändern von hinten freigelegt, so dass erkennbar keine Kompression mehr stattfindet.
Damit die Stabilisierung dauerhaft ist, muss in einem letzten Operationsschritt die Bandscheibe entfernt und ein sogenannter „Cage“ eingesetzt werden. Dieser „Cage“ ist ein annähernd rechteckiges oder bananenförmiges Konstrukt, welches mit körpereigenem Knochen - den man z. B. bei der Dekompression der Nerven gewonnen hat - gefüllt werden kann und der nach der Entfernung der Bandscheibe im Bandscheibenfach platziert wird, um Höhe und Neigung des Segmentes wiederherzustellen. Der Knochen wird dann durch den Cage und um ihn herum von einem Wirbel zum nächsten Wirbel wachsen, so dass eine dauerhafte knöcherne Fusion der beiden Wirbel resultiert. Wird dieser Operationsschritt ausgelassen, „schwingt“ das Segment weiter um die noch vorhandene Bandscheibe als Drehzentrum und die Schrauben die von hinten in die Wirbel eingebracht wurden lockern mit der Zeit aus.
Die Bilder präoperativ zeigen eine Isthmische Spondylolisthese, das heißt eine durch einen angeborenen Defekt in der Pars interarticularis entstandenes Wirbelgleiten bei einem 16-jährigen, der schmerzbedingt nicht mehr den normalen Alltag eines Jugendlichen leben konnte. Durch eine Beckeninklination mit vermehrtem Hohlkreuz ist das Wirbelgleiten statisch kompensiert, die lumbale Lordose beträgt allerdings 70° nach Cobb.
Postoperativ nach TLIF L5/S1 zeigt sich eine gute Reposition des Wirbelgleitens. Die lumbale Lordose hat sich mit 56° nach Cobb normalisiert.
Nach der Operation ist zwar sofort Sitzen, Stehen und Gehen erlaubt, dennoch sollte der Rücken für mindestens sechs Wochen geschont werden, d.h. es darf nicht schwer gehoben werden, es soll keine übermäßige Flexion oder Extension der Wirbelsäule stattfinden und es soll darf keine Rotationsbewegung der Wirbelsäule durchgeführt werden. Ein Korsett ist nicht erforderlich.