In einer auch im fortgeschrittenen Alter noch sportlich aktiven Gesellschaft mit entsprechend hohem Funktionsanspruch konsultieren immer mehr Patienten ihren Arzt oder Therapeuten wegen Schulterbeschwerden. Da Schulterschmerzen mannigfaltige Ursachen haben können, ist die genaue Abklärung endscheidend. Der Sehnenriss an der Schulter, die Ruptur der Rotatorenmanschette, ist eine häufige Ursache für Schulterbeschwerden, insbesondere im mittleren und höheren Lebensalter. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die die optimale Behandlungsstrategie von Läsionen der Rotatorenmanschette beeinflussen. Nicht zuletzt ergeben sich auch durch die Weiterentwicklung der arthroskopischen Operationsverfahren am Schultergelenk neue, sehr erfolgreiche Therapiemöglichkeiten. Nachfolgend möchten wir Ihnen „aus der Praxis für die Praxis“ eine Übersicht über Entstehung, klinisches Bild, Diagnose und Therapieoptionen eines recht häufigen Krankheitsbildes an der Schulter, der RUPTUR der ROTATORENMANSCHETTE, geben. Wir hoffen, durch unsere praxisnahen Informationen Ihre therapeutische Arbeit effektiv zu unterstützen.
Für die Bewegung des Schultergelenkes hat das sehr komplexe Zusammenspiel zwischen Humeruskopf und Glenoid eine herausragende Bedeutung. Gesteuert wird der Humeruskopf dabei insbesondere von der Rotatorenmanschette. Hierzu zählen der M. supraspinatus, M. infraspintaus, M. teres minor und M. subscapularis. Der M. supraspinatus agiert als Flektor und Abduktor, M. infraspinatus und M. teres minor sind Außenrotatoren. Sie inserieren am Tuberkulum majus des Humeruskopfes. Der M. subscapularis agiert als Innenrotator und inseriert am Tuberculum minus. Zwischen den Sehnen der Rotatorenmanschette und dem Akromion findet sich als Verschiebeschicht die Bursa subacromialis, die unmittelbar in die Bursa subdeltoidea übergeht. Ein aufschlussreiches Video zur Anatomie der Schulter finden Sie unter: http://flexikon.doccheck.com/d...
Die Rotatorenmanschette kann primär traumatisch reißen – beispielsweise durch einen Sturz auf den Arm. Meist ist jedoch eine vorbestehende, chronische Sehnendegeneration mit ursächlich dafür, dass es zum Sehnenriss kommt. Bei einer entsprechend vorgeschädigten Sehne reicht oft auch eine impulsartige stärkere Belastung, bei starker Degeneration manchmal sogar eine Alltagsbelastung aus, um den Riss zu verursachen. Disponierend für eine Ruptur der Rotatorenmanschette ist ein chronisches subacromiales Impingement, d. h. eine vermehrte Enge unter dem Schulterdach durch beispielsweise einen Akromionsporn oder einen vermehrten lateralen slope des Acromions. Besonders häufig ist die Supraspinatussehne von einer Ruptur betroffen. Im höheren Lebensalter finden sich gehäuft asymptomatische Rupturen an der Rotatorenmanschette. Man unterscheidet partielle und komplette Sehnenrupturen. Bei der partiellen Sehnenruptur, der sogenannten Teilruptur, ist nicht die gesamte Schichtdicke der Sehne betroffen, wie dies bei der kompletten Sehnenruptur der Fall ist. Eine Sehnenteilruptur hat grundsätzlich die Tendenz zur Progredienz, d. h. in eine Komplettruptur überzugehen. Genauso hat eine komplette Sehnenruptur die Tendenz, größer zu werden, wenn deren Ursache nicht behoben wird
Bei einem akuten Schaden an der Rotatorenmanschette klagt der Betroffene über plötzliche, oft stechende Schmerzen, vor allem bei Bewegungen des Armes nach oben. Häufig ist auch die Funktion, insbesondere die Kraft spürbar reduziert. Aufgrund einer sich ausbildenden Entzündung kommt es gehäuft zu mehr oder minder chronischen nächtlichen Schulterschmerzen, die regelmäßig in den Oberarm ausstrahlen
Inspektorisch ist die Schulter in aller Regel wenig auffällig. Passiv ist die Schulter meist frei beweglich (Flexion 170°, Abduktion 90°, Innenrotation/Außenrotation 70 / 0 / 90°), zeigt aber meist einen mehr oder minder starken Bewegungsschmerz. Insbesondere spezielle Provokationstests für die einzelnen Sehnenabschnitte sind differentialdiagnostisch wichtig. Bei Ruptur der Sehne des M. Supraspinatus ist das Heben des Arms zur Seite oder auch nach vorne schmerzhaft. Häufig ist hierbei die Kraft abgeschwächt. Bei Ruptur der Sehne des M. Infraspinatus (ggf. in Kombination mit einem Schaden am M. teres minor) ist die Außenrotationskraft abgeschwächt bzw. schmerzhaft. Bei Ruptur der Sehne des M. subscapularis ist die Innenrotationskraft des Armes abgeschwächt bzw. schmerzhaft. Zur Untersuchung der Schulter gehört obligat eine Bewegungs- und Funktionsprüfung der Halswirbelsäule nebst orientierendem neurologischen Status der oberen Extremität, um auszuschließen, dass hier die Ursache der Schulterbeschwerden liegt.
Bei Verdacht auf eine Ruptur der Rotatorenmanschette sind gezielte apparative Untersuchungen wie Ultraschall oder Kernspintomografie zur Darstellung der Sehnen dringend indiziert. Vorteil der Sonografie ist sicherlich ihre einfache Verfügbarkeit. Die Kernspintomografie gibt sehr umfassende Informationen zu allen knöchernen und weichteiligen Strukturen sowie dem Entzündungszustand des Gelenks. Will man Machbarkeit und Prognose einer eventuellen Sehnen-Naht klären, ist die MRT unerlässlich.
Grundsätzlich gilt, dass eine gerissene Rotatorenmanschette keine Selbstheilungstendenz hat, sondern die Rissgröße eher progredient ist. Es muss entschieden werden, ob unter konservativen Therapiemaßnahmen, trotz gerissener Sehne, langfristig ein funktionsfähiges, schmerzfreies oder schmerzarmes Schultergelenk zu erwarten ist oder ob hierzu der Schaden an der Schulter operativ saniert werden sollte. Sämtliche Behandlungsstrategien orientieren sich grundsätzlich an der individuellen Beschwerdesymptomatik, am Anspruch und an den speziellen Lebensbedingungen des Patienten. Bei jungen Patienten oder körperlich sehr aktiven Menschen sollte großzügig auch bei einem kleineren Riss der Sehne eine Rekonstruktion, d. h. die Naht der Sehne erfolgen. Gleichzeitig muss ein ggf. bestehendes Impingement beseitigt werden. Je geringer der Bewegungs- und Belastungsanspruch des Patienten ist, desto zurückhaltender kann man beim älteren Menschen mit der Rekonstruktion einer gerissenen Sehne sein. Hier kann dann ggf. auch mit konservativen Therapiemaßnahmen die Lebensqualität wiederhergestellt werden.
Ziel der konservativen Therapie bei Läsion der Rotatorenmanschette ist es, die Symptome Schmerz und Funktionsdefizit, d. h. in aller Regel eine Kraftabschwächung bei Armbewegungen zu lindern und die Gefahr einer Schadensprogression zu reduzieren. Eine sehr wichtige Maßnahme ist selbstverständlich, dass der Patient schmerzauslösende, belastende Bewegungen der Schulter vermeidet.
Ein ganz erheblicher Anteil der Schmerzen bei Rupturen der Rotatorenmanschette ist bedingt durch einen entzündlichen Prozess an den Weichteilen insbesondere der Bursa subacromialis. Eine antiphlogistische Behandlung steht deshalb im Vordergrund: Als medikamentöse Basistherapie ist der Einsatz von topischen oder oralen NSARs empfehlenswert (z. B. Diclofenac 2 x 75 mg/d oder Ibuprofen 3 x 600 mg/d über max. 2 bis 3 Wochen). Eine Alternative ist eine lokale Infiltrationsbehandlung des Subacromialraums, d. h. Injektionen peritendinös in die Bursa subacromialis. Da Injektionen mit Kortisonpräparaten die Sehnenheilung beeinträchtigen, sollten diese nur eingesetzt werden, wenn ein Sehnenriss bereits ausgeschlossen ist oder man sich gemeinsam mit dem Patienten gegen dessen Reparatur entschieden hat! Dann werden z. B. Triamcinolon 10 mg und Dexamethason 4 mg auf 10 ml Bupivacain 0,5 % injiziert (Cave bei Cortikoiden: Abstand zwischen zwei Injektionen mindestens 4 Wochen, insgesamt nicht mehr als 3 Wiederholungen!). Bei chronischem Verlauf ggf. 1 Amp. Traumeel auf 10 ml Bupivacain 0,5 % bis zu 6-mal im wöchentlichen Abstand. Bezüglich Gelenkinjektionen möchten wir auf die Empfehlung der deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) verweisen. Grundsätzlich kann auch mit alternativen Therapieverfahren wie Akupunktur, Neuraltherapie oder Homöopathie versucht werden, den schmerzhaften Entzündungszustand zu verbessern.
Eine begleitende Physiotherapie soll helfen, muskuläre Dysbalancen auszugleichen und durch entsprechende Kräftigungsübungen sowie Koordinations- und Propriozeptionstraining die muskuläre Steuerung des Schultergelenkes zu verbessern. In aller Regel muss die Behandlung der Halswirbelsäule mit einbezogen werden. Die genaue Behandlungsausrichtung sollte individuell erfolgen und ggf. zwischen Arzt und Therapeut abgesprochen werden. Sie basiert auf dem jeweiligen Schädigungsumfang der Rotatorenmanschette, eventuell vorhandenen Begleitpathologien des Schultergelenks und letztendlich dem Anspruch des Patienten.
Die moderne Schulterchirurgie bietet heute die Möglichkeit, Sehnenrisse im Rahmen einer arthroskopischen Operation zu versorgen. Mit der arthroskopischen Operationsmethode kann der erfahrene Schulterexperte auch Sehnenrisse reparieren, die der früher praktizierten, offenen, zudem sehr traumatisierenden OP-Technik nicht zugänglich waren. Zur Rekonstruktion werden die abgerissenen Sehnenenden mithilfe kleiner Fadenanker (aus Titan, Peak oder bioresorbierbaren Materialien) am Knochen refixiert, damit sie dort festheilen. Zugleich ist es meist notwendig, den Raum unter dem Schulterdach zu erweitern, um die Sehne vor unnötiger Druckbelastung zu schützen und deren sicheres Anheilen zu gewährleisten. Je frischer und je kleiner ein Riss der Rotatorenmanschette ist, desto besser sind die Heilungschancen. Sehr große Risse, die vielleicht auch schon seit Monaten bestehen, erfordern besonderes Geschick und operative Erfahrung, um zum Erfolg zu kommen. Ist eine Rekonstruktion nicht mehr möglich, beschränkt man sich ggf. darauf, die abgerissenen Sehnenstümpfe zu glätten und entzündetes Gewebe zu entfernen. Nur in Ausnahmefällen ist eine aufwendige Rekonstruktion durch Verlagerung von Sehnen anderer Muskeln sinnvoll (Latissimus-dorsi-Transfer). Bei komplexer, nicht rekonstruktionsfähiger Ruptur der Rotatorenmanschette und entsprechendem Leidensdruck kann die Implantation einer inversen Schulterprothese erwogen werden.
Damit nach erfolgter Rekonstruktion der Rotatorenmanschette die Sehne am Knochen anheilen kann, benötigt sie Ruhe. Die Schulter wird mit einer Bandage zunächst für drei bis sechs Wochen geschützt. Begleitend ist jedoch von Anfang an eine intensive physiotherapeutische Behandlung dringend erforderlich: Initial post-operativ ist Lymphdrainage indiziert. Zur Prophylaxe einer Schultersteife muss das Gelenk frühzeitig passiv mobilisiert werden. Sanfte isometrische Übungen in der Neutralposition der Schulter sollen einer verstärkten Muskelatrophie vorbeugen. Begleitende muskuläre Dysbalancen, insbesondere Verspannungszustände im Bereich der Halswirbelsäule, müssen ausgeglichen werden. Nach frühestens 6–8 Wochen kann mit einem gezielten Muskelaufbautraining begonnen werden. Wichtig ist es, den Patienten in die Nachbehandlung mit einzubeziehen und zu Eigenübungen anzuleiten.
Eine systematische Funktionsprüfung der Schulter erlaubt im Zusammenhang mit der Anamnese in den meisten Fällen bereits klinisch eine korrekte Diagnose. Eine zentrale Rolle spielt hierbei zum einen die Prüfung der aktiven und passiven Beweglichkeit der Schulter, zum anderen das Kraftverhalten in den verschiedenen Bewegungsebenen. Im Folgenden stellen wir Ihnen die aus unserer Sicht praktikabelsten Funktionstests bei Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenläsion dar. Umfassende Informationen zu Untersuchungstechniken der Schulter finden Sie u. a. in der Übersichtsarbeit: SCHEIBEL M, HABERMEYER P (2005) Klinische Untersuchung der Schulter. Orthopäde 2005 34: 267-284
Die aktive und passive Beweglichkeitsprüfung der Schulter wird im Seitenvergleich durchgeführt. Die Bewegungsumfänge werden entsprechend der Neutral-Null-Methode für Flexion, Abduktion sowie Innen- und Außenrotation bestimmt. Eine Einschränkung der aktiven Beweglichkeit bei passiv freiem Bewegungsumfang weist auf eine Läsion der Rotatorenmanschette hin.
Die klinische Symptomatik bei Ruptur der Rotatorenmanschette hängt in der Regel von deren Lokalisation und Ausdehnung ab. Während kleinere Läsionen eher mit Schmerzen verbunden sind, findet sich bei größeren Rupturen zusätzlich ein mehr oder minder stark ausgeprägter Kraftverlust. Über die Schmerzhaftigkeit bzw. Abschwächung der einzelnen Muskeln geben isometrische Funktionsprüfungen gegen Widerstand Aufschluss.
Testung Flexoren und Abduktoren (M. Supraspinatus)
Zur Beurteilung des M. supraspinatus wird beim Jobe-Test die Elevationskraft in der Skapulaebene aus 90° Abduktion mit innenrotiertem Arm geprüft. Bei Kraftminderung oder Schmerzen gilt der Jobe-Test als positiv.
Testung Außenrotatoren (M. infraspinatus, M. teres minor)
Der Außenrotations-Test aus der Neutralstellung der Schulter und die Überprüfung der Kraft bzw. das Auslösen von Schmerzen gibt Auskunft über die Funktion des M. infraspinatus und des M. teres minor.
Testung Innenrotatoren (M. subscapularis)
Der Innenrotations-Test aus der Neutralstellung der Schulter und die Überprüfung der Kraft bzw. das Auslösen von Schmerzen gibt Auskunft über die Funktion des M. subscapularis.
Alternativ hierzu kann der Lift-off-Test angewandt werden. Hierbei wird der Patient aufgefordert, aus der Schürzengriffstellung heraus nach hinten zu drücken. Bei einer Abschwächung zur Gegenseite besteht der Verdacht auf eine Ruptur der M.-subscapularis-Sehne.