IM FOKUS

Ruptur Rotatorenmanschette – Schulter

Ausgabe
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Cover der IM FOKUS Ausgabe

Anatomie

Für die Bewegung des Schultergelenkes hat das sehr komplexe Zusammenspiel zwischen Humeruskopf und Glenoid eine herausragende Bedeutung. Gesteuert wird der Humeruskopf dabei insbesondere von der Rotatoren- manschette. Hierzu zählen der M. supraspinatus, M. infra- spinatus, M. teres minor und M. subscapularis. Der M. sub- scapularis agiert als Flektor und Abduktor, M. infraspinatus und M. teres minor sind Außenrotatoren. Sie inserieren am Tuberculum majus des Humeruskopfes. Der M. subscapularis agiert als Innenrotator und inseriert am Tuberculum minus. Zwischen den Sehnen der Rotatorenmanschette und dem Acromion findet sich als Verschiebeschicht die Bursa sub- acromialis, die unmittelbar in die Bursa subdeltoidea übergeht. Ein aufschlussreiches Video zur Anatomie der Schulter finden Sie unter: http://flexikon.doccheck.com/de/Schultergelenk

Entstehung

Rupturen der Rotatorenmanschette zählen generell zu den häufigsten Verletzungen an der Schulter. Ursächlich für einen Sehnenriss sind überwiegend degenerative Verän- derungen. Traumatische Risse der Rotatorenmanschette sind hingegen vergleichsweise selten. Der Großteil der Rotatorenmanschettenläsionen entsteht auf dem Boden degenerativer Prozesse im Sehnengewebe im Rahmen des natürlichen Alterungsprozesses. Ungünstig wirken sich aber auch ein chronisches subacromiales Impingement, d. h. eine vermehrte Enge unter dem Schulterdach durch einen Acromionsporn oder einen vermehrten lateralen Slope des Acromions sowie ein sekundäres Impingement durch Osteophyten bei Arthrose des Acromioclavicular- Gelenks aus. Besonders häufig ist die Supraspinatussehne von einer Ruptur betroffen. Zu einer plötzlichen Verschlimmerung kann es durch ein Trauma oder durch eine ruckartige Kraftbelastung kommen („acute on chronic“). Im höheren Lebensalter finden sich gehäuft asymptomatische Rupturen an der Rotatoren- manschette.

Man unterscheidet partielle und komplette Sehnenrupturen. Bei der partiellen Sehnenruptur, der sogenannten Teilruptur, ist nicht die gesamte Schichtdicke der Sehne betroffen. Hingegen besteht bei der kompletten Sehnenruptur ein vollschichtiger Riss. Eine Sehnenteilruptur hat grundsätzlich die Tendenz zur Progredienz, d. h. in eine Komplettruptur überzugehen. Genauso hat eine komplette Sehnenruptur die Tendenz, größer zu werden, wenn deren Ursache nicht behoben wird.

Diagnose

Anamnese

Bei einem akuten Schaden an der Rotatorenmanschette klagt der Betroffene über plötzliche, oft stechende Schmerzen, vor allem bei Bewegungen des Armes nach oben. Häufig ist auch die Funktion, insbesondere die Kraft spürbar reduziert. Aufgrund einer sich ausbildenden Entzündung kommt es gehäuft zu mehr oder minder chronischen nächtlichen Schulterschmerzen, die regelmäßig in den Oberarm aus- strahlen. Bei einem chronischen Sehnenschaden bestehen meist belastungsabhängige Schulterschmerzen sowie zeitweise Ruheschmerzen.

Klinische Untersuchung

Inspektorisch ist die Schulter in aller Regel wenig auffällig. Passiv ist die Schulter meist frei beweglich (Flexion 170°, Abduktion 90°, Innenrotation/Außenrotation 70 / 0 / 90°), zeigt aber meist einen mehr oder minder starken Bewegungs- schmerz. Insbesondere spezielle Provokationstests für die einzelnen Sehnenabschnitte sind differenzialdiagnostisch wichtig. Bei Ruptur der Sehne des M. Supraspinatus ist das Heben des Arms zur Seite oder auch nach vorne schmerzhaft. Häufig ist hierbei die Kraft abgeschwächt. Bei Ruptur der Sehne des M. Infraspinatus (ggf. in Kombination mit einem Schaden am M. teres minor) ist die Außenrotationskraft abgeschwächt bzw. schmerzhaft. Bei Ruptur der Sehne des M. subscapularis ist die Innenrotationskraft des Armes abgeschwächt bzw. schmerzhaft. Siehe auch Seite 6: Aus der Praxis für die Praxis.

Zur Untersuchung der Schulter gehört obligat eine Bewegungs- und Funktionsprüfung der Halswirbelsäule nebst orientierendem neurologischen Status der oberen Extremität, um auszuschließen, dass hier die Ursache der Schulterbeschwerden liegt.

Bildgebende Diagnostik

Bei Verdacht auf eine Ruptur der Rotatorenmanschette sollte dies durch eine Ultraschall- oder kernspintomografische Untersuchung dringend abgeklärt werden. Vorteil der Sonografie ist sicherlich ihre einfache Verfügbarkeit. Die Kernspintomografie gibt sehr umfassende Informationen zu allen knöchernen und weichteiligen Strukturen sowie dem Entzündungszustand des Gelenks. Will man Machbarkeit und Prognose einer eventuellen Sehnen-Rekonstruktion klären, ist ein MRT unerlässlich.

Therapie

Grundsätzlich gilt, dass eine gerissene Rotatorenmanschette keine Selbstheilungstendenz hat, sondern die Rissgröße eher progredient ist. Es muss entschieden werden, ob unter konservativen Therapiemaßnahmen, trotz gerissener Sehne, langfristig ein funktionsfähiges, schmerzfreies oder schmerz- armes Schultergelenk zu erwarten ist, oder ob hierzu der Schaden an der Schulter operativ saniert werden sollte. Sämtliche Behandlungsstrategien orientieren sich grund- sätzlich an der individuellen Beschwerdesymptomatik, am Anspruch und an den speziellen Lebensbedingungen des Patienten. Bei jungen Patienten oder körperlich sehr aktiven Menschen sollte großzügig auch bei einem kleineren Riss der Sehne eine Rekonstruktion, d. h. die Naht der Sehne erfolgen. Gleichzeitig muss ein ggf. bestehendes Impinge- ment beseitigt werden. Je geringer der Bewegungs- und Belastungsanspruch des Patienten ist, desto zurückhaltender kann man beim älteren Menschen mit der Rekonstruktion einer gerissenen Sehne sein. Hier kann dann ggf. auch mit konservativen Therapiemaßnahmen die Lebensqualität wiederhergestellt werden.

Konservative Therapiemaßnahmen

Ziel der konservativen Therapie bei Läsion der Rotatoren- manschette ist es, die Symptome Schmerz und Funktions- defizit, d. h. in aller Regel eine Kraftabschwächung bei Armbewegungen zu lindern und die Gefahr einer Schadens- progression zu reduzieren. Eine sehr wichtige Maßnahme ist selbstverständlich, dass der Patient schmerzauslösende, belastende Bewegungen der Schulter vermeidet.

Medikamentöse Behandlung

Ein ganz erheblicher Anteil der Schmerzen bei Rupturen der Rotatorenmanschette ist bedingt durch einen entzündlichen Prozess an den Weichteilen, insbesondere der Bursa sub- acromialis. Eine antiphlogistische Behandlung steht deshalb im Vordergrund: Als medikamentöse Basistherapie ist der Einsatz von topischen oder oralen NSARs empfehlenswert (z. B. Diclofenac 2 x 75 mg/d oder Ibuprofen 3 x 600 mg/d über max. 2 bis 3 Wochen).

Eine Alternative ist eine lokale Infiltrationsbehandlung des Subacromialraums, d. h. Injektionen peritendinös in die Bursa subacromialis. Da Injektionen mit Kortisonpräparaten die Sehnenheilung beeinträchtigen, sollten diese nur ein- gesetzt werden, wenn ein Sehnenriss bereits ausgeschlossen ist oder man sich gemeinsam mit dem Patienten gegen dessen Reparatur entschieden hat!

Dann werden z. B. Triamcinolon 10 mg und Dexamethason 4 mg auf 10 ml Bupivacain 0,5 % injiziert (Cave bei Kortikoiden: Abstand zwischen zwei Injektionen mindestens 4 Wochen, insgesamt nicht mehr als 3 Wiederholungen!). Bei chroni- schem Verlauf ggf. 1 Amp. Traumeel auf 10 ml Bupivacain 0,5 % bis zu 6-mal im wöchentlichen Abstand. Bezüglich Gelenkinjektionen möchten wir auf die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) verweisen.

Alternativ kann versucht werden, den entzündungsbedingten Schmerz durch homöopathische Präparate wie Traumeel bzw. Zeel oder auch mittels Autologem Conditionierten Blutplasma (ACP) zu behandeln. Darüber hinaus kann erwogen werden, eine symptomatische Schmerztherapie mit Akupunktur oder Neuraltherapie durchzuführen, um so die Lebensqualität des Patienten zu verbessern.

Physiotherapie

Eine begleitende Physiotherapie soll helfen, muskuläre Dysbalancen auszugleichen und durch entsprechende Kräftigungsübungen sowie Koordinations- und Proprio- zeptionstraining die muskuläre Steuerung des Schulter- gelenkes zu verbessern. In aller Regel muss die Behandlung der Halswirbelsäule mit einbezogen werden. Die genaue Behandlungsausrichtung sollte individuell erfolgen und ggf. zwischen Arzt und Therapeut abgesprochen werden. Sie basiert auf dem jeweiligen Schädigungsumfang der Rotatorenmanschette, eventuell vorhandenen Begleit- pathologien des Schultergelenks und letztendlich dem Anspruch des Patienten.

Operative Therapiemaßnahmen

Die moderne Schulterchirurgie bietet heute die Möglichkeit, Sehnenrisse im Rahmen einer arthroskopischen Operation zu versorgen. Mit der arthroskopischen Operationsmethode kann der erfahrene Schulterexperte auch Sehnenrisse reparieren, die der früher praktizierten, offenen, zudem sehr traumatisierenden OP-Technik nicht zugänglich waren.

Zur Rekonstruktion werden die abgerissenen Sehnenenden mithilfe kleiner Fadenanker (aus Titan oder bioresorbierbaren Materialien) am Knochen refixiert, damit sie dort festheilen. Zugleich ist es meist notwendig, den Raum unter dem Schulterdach zu erweitern, um die Sehne vor unnötiger Druckbelastung zu schützen und deren sicheres Anheilen zu gewährleisten. Je frischer und je kleiner ein Riss der Rotatorenmanschette ist, desto besser sind die Heilungs- chancen. Sehr große Risse, die vielleicht auch schon seit Monaten bestehen, erfordern in der operativen Versorgung besonderes Geschick und viel Erfahrung. Ist eine Rekon- struktion nicht mehr möglich, muss man sich ggf. darauf beschränken, die abgerissenen Sehnenstümpfe zu glätten und entzündetes Gewebe zu entfernen. Neu und unter bestimmten Konditionen erfolgversprechend scheint, bei bis dato aussichtslosen, nicht rekonstruktionsfähigen Sehnenrissen, eine Rekonstruktion der cranialen Gelenk- kapsel (SCR) zu sein. Hierbei kommen biotechnologisch generierte Ersatzmaterialien zur Anwendung (siehe auch Neues und Bemerkenswertes Seite 3).

Nur in Ausnahmefällen ist eine aufwendige Rekonstruktion durch Verlagerung von Sehnen anderer Muskeln sinnvoll (Latissimus-dorsi-Transfer). Bei komplexen, nicht rekon- struktionsfähigen Rupturen der Rotatorenmanschette und entsprechendem Leidensdruck kann die Implantation einer inversen Schulterprothese erwogen werden.

Wie wird die operierte Schulter nachbehandelt?

Damit nach erfolgter Rekonstruktion der Rotatorenmanschette die Sehne am Knochen anheilen kann, benötigt sie Ruhe. Die Schulter wird mit einer Bandage zunächst für drei bis sechs Wochen geschützt. Begleitend ist jedoch von Anfang an eine intensive physiotherapeutische Behandlung dringend erforderlich: Initial postoperativ ist Lymphdrainage indiziert. Zur Prophylaxe einer Schultersteife muss das Gelenk früh- zeitig passiv mobilisiert werden.

Sanfte isometrische Übungen in der Neutralposition der Schulter sollen einer verstärkten Muskelatrophie vorbeugen. Begleitende muskuläre Dysbalancen, insbesondere Ver- spannungszustände im Bereich der HWS müssen ausge- glichen werden. Nach frühestens 6–8 Wochen kann mit einem gezielten Muskelaufbautraining begonnen werden. Wichtig ist es, den Patienten in die Nachbehandlung mit einzubeziehen und zu Eigenübungen anzuleiten.

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