IM FOKUS

Schulterluxation

Ausgabe
10
Cover der IM FOKUS Ausgabe

Individuelle Therapie zur Vermeidung von Dauerschäden notwendig

Eine Schulterluxation ist für den Betroffenen ein einschneidendes Ereignis. Nach erfolgter Notfallversorgung im Krankenhaus sucht der Patient häufig fachmännische Beratung bezüglich der bestmöglichen weiteren Behandlung. Ob konservativ, d. h. primär physiotherapeutisch behandelt werden sollte, oder ob ein Eingriff des Schultergelenkes empfehlenswert ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Nachfolgend möchten wir Ihnen „aus der Praxis für die Praxis” eine Übersicht rund um das Thema Schulterluxation und deren optimalen Behandlung geben. Wir hoffen, durch unsere praxisnahen Informationen Ihre therapeutische Arbeit effektiv zu unterstützen.

Differenzierte Therapie nach Schulterluxation entscheidend

In den letzten 10–15 Jahren haben zahlreiche klinische Studien gezeigt, dass es nicht „die“ beste Behandlung nach Schulterluxation gibt. Es existieren vielmehr zahlreiche Faktoren, die einen optimalen Heilungserfolg beeinflussen. Heilungserfolg bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die verletzte Schulter dauerhaft stabil und gut belastungsfähig wird und dass keine frühzeitige Arthrose befürchtet werden muss. Zu den wesentlichen Faktoren, die für eine optimale individuelle Therapie berücksichtigt werden müssen, gehören Unfallmechanismus, Alter und der Aktivitätslevel des Betroffenen, exakte Analyse des Gelenkschadens sowie die Bindegewebsbeschaffenheit des Betroffenen. Diese Faktoren sind entscheidend, ob der Patient primär konservativ oder primär operativ therapiert werden sollte und letztendlich auch, wie die konservative bzw. operative Therapie genau erfolgen sollte, um ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen.

Die Anatomie der Schulter und wieso sie häufiger luxiert als andere Gelenke

Das Schultergelenk ist das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers. Voraussetzung hierzu ist die spezifische Anatomie: Ein großer Oberarmkopf bewegt sich in einer verhältnismäßig kleinen Gelenkpfanne. Hierdurch ist zwar einerseits das große Bewegungsausmaß des Schultergelenkes möglich, andererseits besteht durch die geringe knöcherne Führung, in Kombination mit der weiten sie umgebenden Gelenkkapsel, die Gefahr der Instabilität. Zu den stabilisierenden Komponenten der Schulter zählen die Schultergürtelmuskulatur mit ihren Sehnenansätzen am Humeruskopf sowie ein kräftiger Labrum-Kapsel-Band- Komplex, der zirkumferent vom Glenoid zum Humeruskopf zieht

Diese anatomischen Besonderheiten der Schulter führen zu einer hohen Inzidenz von 5–12 Luxationen auf 100.000 Einwohner pro Jahr. Man unterscheidet je nach Luxationsrichtung zwischen vorderer, hinterer und multidirektionaler Instabilität. Die vordere Schulterluxation ist die häufigere Form (ca. 95 %), hintere Schulterluxationen sind weitaus seltener (ca. 2–4 %). Multidirektionale Instabilitäten finden sich meist in Verbindung mit einer vermehrten Kapsellaxizität, d. h. bei Hypermobilität des Schultergelenkes. Diese pathologische Mehrbeweglichkeit lässt Luxationen gleichermaßen nach anterior und posterior zu (multidirektionale Instabilität, ca. 3–5 %). Im Folgenden sollen die Therapieoptionen für die bei Weitem häufigste Schulterinstabilität, die vordere Schulterluxation, näher erläutert werden.

Luxation nicht gleich Luxation

Zahlreiche Studien zeigen, dass eine differenzierte Betrachtung der Schulterluxation sowie die Berücksichtigung zahlreicher Faktoren für eine adäquate Therapieempfehlung von größter Bedeutung sind. Man klassifiziert Schulterluxationen nach der Luxationsart, d. h. wie es zur Luxation gekommen ist, sowie nach der Luxationshäufigkeit.

Luxationsart

Von grundsätzlichem Interesse ist die Tatsache, ob die Luxation durch ein Trauma bedingt wurde oder nicht. Hieraus resultiert die Einteilung in traumatische Luxation bzw. atraumatische Luxation. Wichtig ist hierbei zu beurteilen, ob tatsächlich ein adäquates Trauma vorlag, d. h. ob die Gewalteinwirkung ausreichend stark war, eine „normale“ Schulter zu luxieren oder ob es sich um ein Bagatelltrauma handelte. In letzterem Fall muss man eine Prädisposition zur Schulterinstabilität wie z. B. eine Hypermobilität bzw. Bindegewebsschwäche in Erwägung ziehen.

Luxationshäufigkeit

Kommt es nach primärer Luxation wiederholt zu Luxationen, wird dies als rezidivierende Schulterluxation bzw. chronische Schulterinstabilität bezeichnet. Kommt es unter Alltagsbelastung oder auch im Schlaf zur Luxation, spricht man von habitueller Schulterluxation. Kann ein Patient willkürlich seine Schulter luxieren, nennt man dies spontane Luxation. Habituelle und spontane Schulterluxationen treten gehäuft bei Patienten mit hyperlaxem Bindegewebsstatus auf.

Einflussfaktoren für die Therapieempfehlung nach primärer Schulterluxation

Ob ein Patient nach primärer Schulterluxation konservativ oder operativ behandelt werden sollte, um das Risiko von nachfolgenden Luxationen oder einer frühzeitigen Arthrose zu minimieren, hängt maßgeblich von folgenden Faktoren ab:

  • Unfallhergang
  • Patientenalter
  • Aktivitätsniveau
  • Gewebsstatus (Hypermobilität, Hyperlaxizität)
  • exakte Analyse der traumatischen Schädigung

Unfallhergang

Es ist wichtig, das Luxationsereignis und die Reposition genau zu hinterfragen. Wichtig ist hier vor allem die Analyse, ob eine traumatische oder atraumatische Schulterluxation vorlag, d. h., ob ein adäquates Trauma vorausgegangen war. Auch die Umstände, die für die Reposition erforderlich waren, geben zumindest ergänzende Hinweise. So spricht eine zur Reposition notwendige Narkose eher für eine traumatisch bedingte Luxation, wohingegen eine Spontanreposition eher für einen hyperlaxen Kapsel-Bandapparat und somit eine atraumatische Luxation spricht

Patientenalter

Junge Patienten haben statistisch ein drei- bis vierfach höheres Risiko, dass trotz konservativer Therapie die Schulter chronisch instabil bleibt. Hier liegt es auf der Hand, nach primärer Luxation eher die operative Behandlung in Erwägung zu ziehen, um Folgeschäden vorzubeugen.

Aktivitätsniveau

Auch das Aktivitätsniveau der Betroffenen hat einen erheblichen Einfluss auf die Reluxationsrate nach primärer Schulterluxation und damit die Therapieempfehlung. Sportarten mit Gegnerkontakt, mit Überkopftätigkeiten sowie Risikosportarten mit gehäuften Stürzen disponieren zur Reluxation und sollten deshalb tendenziell eher operativ stabilisiert werden.

Gewebsstatus

Die Mobilität von Gelenken ist interindividuell stark unterschiedlich ausgeprägt. Bei ausgeprägter Gelenkbeweglichkeit spricht man von Hypermobilität. Ist eine besondere Elastizität von bindegewebigen Strukturen mitverantwortlich, bezeichnet man dies als Hyperlaxizität. Eine pathologische genetische Veränderung des Bindegewebes bzw. der Kollagenfasern mit entsprechender Hypermobilität bzw. Hyperlaxizität findet man u. a. beim Marfan-Syndrom oder dem Ehlers- Danlos-Syndrom. Hypermobile Schultern mit hyperlaxem Bindegewebe disponieren zur Schulterluxation. Hier sollte man mit der Empfehlung zur operativen Intervention zurückhaltend sein, denn der Bindegewebsstatus kann auch durch eine Operation nicht verbessert werden.

Exakte Analyse der traumatischen Schädigung

Ein Schultertrauma mit Luxation führt zwangsläufig zu Weichteilschäden, häufig aber auch zu knöchernen Verletzungen. Je genauer man diese Schäden analysiert, desto spezifischer kann man eine Therapieempfehlung geben, d. h. prognostizieren, ob die Schädigung von selbst ausheilt oder „repariert“ werden sollte. Besonders geeignet für die Evaluierung von Weichteilschäden ist das MRT. In der Beurteilung der knöchernen Schädigung hat das CT eine herausragende Bedeutung und ist dem Röntgenbild deutlich überlegen. Zu den häufigsten und wichtigsten Weichteilschäden gehören:

Bankart-Läsion
Die Bankart-Läsion bezeichnet die luxationsbedingte, traumatische Ablösung des Labrum glenoidale vom Glenoidrand. Bei der ventralen Schulterluxation, die zahlenmäßig bei Weitem die häufigste ist, reißt das Labrum glenoidale vom ventralen Pfannenrand ab. Hierdurch verliert der wichtige Gelenkstabilisator seine Funktion mit der Folge einer chronisch instabilen Schulter.

Rotatorenmannschettenruptur
Beim älteren Menschen kommt es aufgrund der Schulterluxation gehäuft zu Schäden der Rotatorenmanschette. Besonders häufig rupturiert die Sehne des M. subscapularis. Eine traumatische Sehnenruptur des M. subscapularis führt zu einem erheblichen Funktionsdefizit der Schulter mit Innenrotationsschwäche und birgt das Risiko einer erhöhten Reluxationsrate.

Zu den häufigsten und gravierenden knöchernen Verletzungen gehören

Knöcherne Bankart-Läsion
Bei der knöchernen Bankart-Läsion handelt es sich um eine Fraktur der ventralen Glenoidfläche. Je nach Größe und Dislokation des Fragments ist bei nicht adäquater Versorgung mit einer chronischen Instabilität und frühzeitigen Arthrose zu rechnen.

Hill-Sachs-Delle
Bei der Hill-Sachs-Delle handelt es sich um eine Impressionsfraktur des Humeruskopfes, die bei ventraler Luxation kranio-dorsal entsteht, wenn der luxierte Humeruskopf am ventralen Glenoidrand aufschlägt. Bei dorsaler Luxation bezeichnet man die Impressionsfraktur am ventralen Humeruskopf als reversed Hill-Sachs-Delle. Bei entsprechender Größe und Lokalisation kann die Hill-Sachs-Delle in Außenrotation und Abduktion am ventralen Glenoidrand einhaken (engaging) und somit zur chronischen Instabilität führen.

Therapieoptionen nach traumatischer Schulterluxation

Ob nach Schulterluxation eine konservative oder operative Therapie empfehlenswert ist und wie diese idealerweise aussehen sollte, hängt, wie oben bereits erläutert, von zahlreichen Faktoren ab. Zielsetzung jeglicher Therapie ist, dem Patienten mit möglichst geringem Aufwand zu einer vollfunktionsfähigen, stabilen Schulter zu verhelfen, ohne dass eine frühzeitige Arthrose zu befürchten ist. Grundlage für eine gute und fundierte Empfehlung sind zahlreiche klinische Studien, die eindeutige Tendenzen aufzeigen. Auf das Wesentliche reduziert ergeben sich folgende grundsätzliche Behandlungsempfehlungen:

Konservative Therapie

• älterer Patient (> 40 Jahre)
• Kinder und Jugendliche mit offenen Epiphysenfugen
• niedriges körperliches Aktivitätsniveau
• keine wesentlichen traumatisch induzierten Schäden
• hypermobiler Habitus
• multidirektionale Instabilität
• Nervenschädigung (N. axillaris)

Operative Therapie

• jüngerer Patient (< 40 Jahre)
• hohes körperliches Aktivitätsniveau (insbes. Kontaktund Risikosportarten)
• ausgeprägte Weichteilverletzung (Bankart-Läsion; Kapselbandläsionen)
• knöcherne Verletzungen (insbes. knöcherne Bankart- Läsion/Glenoidfraktur)
• Sehnenruptur (M. subscapularis)
• normomobiler Habitus
• unidirektionale Instabilität
• chronische Instabilität trotz konservativer Therapie

Konservative Therapie nach Schulterluxation

Wie alle physiologischen Heilungsprozesse läuft auch die Heilung nach Schulterluxation in Phasen ab. Es ist essenziell, dass neben der Analyse des Ausmaßes des Schadens diese Phasen in der konservativen Therapieplanung berücksichtigt werden müssen. Entscheidend ist, dass in jeder dieser Heilungsphasen die Balance zwischen Ruhe und Entlastung einerseits und Bewegung und Belastung andererseits gefunden wird. Das sogenannte „target tissue training (ttt)“ bezeichnet genau diese Vorgehensweise. Unter Schonung des verletzten Labrum-Kapsel-Band-Komplexes wird mit der Mobilisation des Schultergelenkes begonnen und zeitgleich ein Erhalt der Muskulatur mit Kräftigung durchgeführt, ohne das heilende Gewebe erneut zu schädigen.

Phase 1 (1.–3. Woche): Akutphase/Proliferationsphase/Ruhigstellung

In der Akutphase sollte die Schulter zum einen als „sling for comfort“, d. h. zur Schmerzreduktion durch eine Bandage geschützt und gestützt werden. Durch eine ca. dreiwöchige Ruhigstellung in einer Schulterbandage unmittelbar nach Trauma verringert sich zudem das Reluxationsrisiko gegenüber der Behandlung ohne Ruhigstellung laut Studien um 20–50 %. In der frühen Heilungsphase, der Proliferationsphase, kommt es nach traumabedingter Einblutung insbesondere unter dem Einfluss von Fibrin und Wachstumsfaktoren zum Einsprossen von Fibroblasten, die zur Heilung des verletzten Labrum-Kapsel-Band-Komplexes notwendig sind. Es ist eine sanfte Mobilisation bis jeweils ca. 60° Abduktion und Flexion sowie eine Außenrotation bis ca. 20° gestattet. Die Innenrotation ist nicht limitiert. Isometrische Spannungsübungen in Neutralposition sollen in allen Bewegungsrichtungen erfolgen. Befundabhängig sollten Lymphdrainagen sowie ggf. detonisierende Maßnahmen im Falle von sekundären Verspannungszuständen der Hals-Nacken- Muskulatur erfolgen. Primäre Zielsetzung der operativen Behandlung nach Schulterluxation ist die Wiederherstellung der physiologischen anatomischen Verhältnisse. Schulterspezialisten führen die entsprechenden Rekonstruktionen fast ausnahmslos minimal- invasiv, d. h. arthroskopisch durch, wodurch auch eine exzellente Visualisierung des intraartikulären Schadens möglich ist. Wir möchten Ihnen die wichtigsten Operationsverfahren kurz vorstellen.

Phase 2 (3.–8. Woche): Heilungsphase/Reparationsphase/sanfte Mobilisation

Auch in der Heilungs- bzw. Reparationsphase, die bis zur 8. posttraumatischen Woche stattfindet, sollte das passive und aktive Bewegungsausmaß nicht über 20° Außenrotation und 60–80° die Abduktion erweitert werden. Hierdurch kämen die verletzten Strukturen zu sehr unter Spannung und die Vernarbung des in Heilung begriffenen Labrum- Kapsel-Band-Komplexes würde gestört. In dieser Phase ist klinisch regelmäßig eine eingeschränkte Beweglichkeit des Glenohumeralgelenkes zu beobachten, deren Ursache in einer Fibrosierung der Gelenkkapsel zu sehen ist. Es handelt sich hierbei um einen natürlichen Prozess, der sich in Phase 3 spontan wieder auflöst. Wird in Phase 1 und Phase 2 zu intensiv mobilisiert, kann eine suffiziente Heilung nicht eintreten. Es ist dann entweder eine insuffiziente, hypermobile Weichteilsituation mit persistierender Luxationsneigung oder das Gegenteil, eine sekundäre Capsulitis adhaesiva, zu befürchten.

Phase 3 (9. Woche bis ca. 6 Monate): Remodeling/Belastungsaufbau/Trainingsphase

Ca. 8 Wochen nach dem Trauma beginnt die Phase des „Remodeling“. Es werden fibrotische Narbenstrukturen zu elastischem Kapselgewebe umgebaut. Dieser Prozess ist langwierig und benötigt ca. 6 Monate. Ein Remodeling kann durch adäquate Gewebsbelastung, d. h. spezifisches Reha- Training unterstützt werden. Ziel ist die Verbesserung von Kraft, Ausdauer, Mobilität und Koordination, wobei sicherlich ein besonderer Schwerpunkt auf das Koordinationstraining gelegt werden sollte. Die Wiederaufnahme der ursprünglichen sportlichen Belastung ist nach ca. 6 Monaten, bei Kontaktsportarten nach 9 Monaten gestattet. Voraussetzung für die Aufnahme des sportspezifischen Trainings ist, dass die Schulter weitestgehend frei beweglich ist und der Patient sportartspezifische Bewegungen schmerzfrei durchführen kann.

Operative Therapie nach Schulterluxation

Primäre Zielsetzung der operativen Behandlung nach Schulterluxation ist die Wiederherstellung der physiologischen anatomischen Verhältnisse. Schulterspezialisten führen die entsprechenden Rekonstruktionen fast ausnahmslos minimal- invasiv, d. h. arthroskopisch durch, wodurch auch eine exzellente Visualisierung des intraartikulären Schadens möglich ist. Wir möchten Ihnen die wichtigsten Operationsverfahren kurz vorstellen.

Bankart-Repair

Die häufigste Verletzungsfolge nach primärer, traumatischer Schulterluxation ist eine Schädigung des Labrum-Kapsel- Band-Komplexes mit Abriss des ventralen Labrums glenoidale, die sogenannte Bankart-Läsion. Ziel des Bankart-repair ist, die abgerissene Gelenklippe (Labrum glenoidale) mittels spezieller Implantate aus Titan oder bioresorbierbaren Materialien wieder an der ursprünglichen Stelle zu befestigen.
Gleichzeitig werden gerissene Bänder, insbesondere das wichtigste stabilisierende Band, das inferiore gleno-humeraleLigament (IGHL), anatomisch rekonstruiert.

Latarjet-OP

Wenn bei chronischer, ventraler Schulterinstabilität die Schulter immer wieder luxiert, kommt es zu einer zunehmenden Schädigung des vorderen Pfannenrandes. Überschreitet der knöcherne Schaden eine gewisse Größe, kann die Schulter mit einer alleinigen Rekonstruktion der abgerissenen Weichteile nicht dauerhaft stabilisiert werden. Hierzu ist eine zusätzliche knöcherne Stabilisierung erforderlich. Ein solcher knöcherner Aufbau kann mit dem Rabenschnabelfortsatz (Processus coracoideus) der Schulter erfolgen. Durch den Transfer des Processus coracoideus an die vordere Gelenkfläche wird zum einen der Knochenverlust kompensiert und die Gelenkpfanne vergrößert.Entscheidend für die hohe Stabilität ist jedoch der Transfer der am Coracoid anhängenden Sehnen (kurze Bizepssehne und M. coracobrachialis) durch das untere Drittel des M. subscapularis. Hierdurch entsteht ein zusätzlicher „Sling- Effekt“, d. h. eine neue dynamische untere Gelenkkapsel, die dem Risiko einer erneuten ventralen Luxation entgegenwirkt.

Offen chirurgisch wird dieses von Latarjet entwickelte Verfahren bereits seit 1954 mit guten Langzeitergebnissen durchgeführt. Die Entwicklung der seit ca. 2010 rein arthroskopisch durchgeführten OP-Technik trieb insbesondere Laurent Lafosse voran. Die Latarjet-Operation ist technisch anspruchsvoll und nur sehr wenige Spezialisten sind in der Lage, sie arthroskopisch durchzuführen. Das Ärzteteam der Klinik am Ring, Köln, macht dies unter Federführung von Dr. Alexander Lages bereits seit 2012 sehr erfolgreich und ist deshalb offizielles Schulungszentrum für andere Operateure

Nachbehandlung bei Operation nach Schulterluxation

Die Nachbehandlung der operierten Schulter nach Schulterluxation unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von der konservativen Therapie (s. Seite 6), da auch nach Operation die Heilung dem oben skizzierten physiologischen Prozess unterliegt.

Aus der Praxis für die Praxis

Wie behandele ich eine akute Schulterluxation?

Grundsätzliches Behandlungsziel einer jeglichen Luxation ist die schnellstmögliche Reposition des luxierten Gelenks. Bei der vorderen Schulterluxation existieren zahlreiche Repositionstechniken. Bis vor einiger Zeit bevorzugten wir hierzu die Repositionstechnik nach Hippokrates. Sie ist eine der ältesten und aus unserer Sicht recht einfache Repositionstechnik.

Bei der Repositionstechnik nach Hippokrates übt der Behandelnde einen Zug auf den gestreckten Arm des Patienten aus, während er mit seinem Fuß eine Art Widerlager (Hypomochlion) in der Axilla des Patienten erzeugt. Unter persistierender Zugbewegung am Unterarm sowie einer leichten Außenrotation mit nachfolgender Innenrotation des Arms wird der Humeruskopf wieder im Glenoid platziert. Der Patient befindet sich über die gesamte Dauer der Reposition in Rückenlage auf einer Liege oder ggf. auch auf dem Boden. Der Behandelnde sitzt auf einem Stuhl oder steht.

Eine bessere Repositionstechnik als die nach Hippokrates hat unser Partner Dr. Jan Vonhoegen vor einiger Zeit als Standardverfahren in der KLINIK am RING eingeführt. Er konnte im Rahmen seiner sportmedizinischen Tätigkeit bei den Profi-Footballern in den USA ausgiebig Erfahrungen mit traumatischen Schulterluxationen sammeln und hat dort die Repositionstechnik nach Zahiri kennengelernt.

Die Methode nach Zahiri wird in Bauchlage durchgeführt. Hierbei liegt der Patient am Rande einer Liege und lässt den betroffenen Arm seitlich nach unten hängen. Dann wird der Ellenbogen 90° gebeugt und der Behandler stabilisiert das Handgelenk des Verletzten in Neutralposition. Nachfolgend positioniert der Behandler seine freie Hand in die Ellenbeuge und übt axialen Druck nach unten aus. Wichtig ist, dass diese Traktion mit konstanter Kraft und nicht ruckartig durchgeführt wird.

Dann führt der Behandler unter persistierendem axialen Druck eine vorsichtige Außenrotation gefolgt von einer Innenrotation durch.

Die Repositionsmethode nach Zahiri basiert auf anatomischen Untersuchungen. Großer Vorteil dieser Methode ist, dass sie alle anatomischen und pathologischen Repositionshindernisse wie Bizepssehne, Subscapularissehne sowie die angespannten Fasern des Deltamuskels adressiert. Die Zahiri- Methode ermöglicht aufgrund einer maximalen Entspannung eine schmerzlose Reposition und ist deshalb extrem sicher und erfolgreich. Eine Analgesie ist nur selten, eine Narkose praktisch nie erforderlich.

Nach erfolgreicher Reposition müssen unbedingt Sensibilität, Motorik und Durchblutung des Armes überprüft werden. Die Schulter sollte unmittelbar nach erfolgter Reposition mit einem Dreiecktuch, besser, soweit vorhanden, mit einer Bandage ruhiggestellt werden. Zudem sind Kühlung und orale Antiphlogistika (Diclofenac 2 x 75 mg oder Ibuprofen 3 x 800 mg) indiziert. Eine anschließende Röntgenuntersuchung der Schulter in zwei Ebenen ist zur Überprüfung der korrekten Schultergelenksposition und zum Frakturausschluss dringend angeraten.

Cave: Gelingt die Reposition der luxierten Schulter nach zweimaligem Versuch nicht, sollte sie unter I.-v.-Analgesie oder in Kurznarkose unter Klinikbedingungen erfolgen.

Welche Bandage ist nach Schulterverletzungen besonders geeignet?

Für die Behandlung zahlreicher Schulterverletzungen und Schultererkrankungen ist eine Bandage erforderlich. Einerseits soll hierdurch die obere Extremität gestützt und entlastet werden, um Schmerzen zu reduzieren (sling for comfort). Andererseits soll die Bandage die Schulter bzw. den Arm ggf. sichern, um falsche Bewegungen oder Fehlbelastungen zu verhindern. Bei der Auswahl einer Schulterbandage sind aber auch Funktionalität und Tragekomfort ganz entscheidende Aspekte. Der häufig noch eingesetzte Gilchrist-Verband erscheint uns in den allermeisten Fällen, insbesondere vor diesem Hintergrund, als ungeeignet

Wir favorisieren fast ausnahmslos, so auch nach Schulterluxation, eine Fixationsbandage, wie sie unten beispielhaft dargestellt ist.

Vorteil einer solchen Bandage gegenüber der traditionell häufig eingesetzten Gilchrist-Bandage ist, dass der Patient seine Hand bei zahlreichen Alltagsbewegungen unterstützend einsetzen kann. Der Einsatz der Hand und des Arms können im Laufe des Heilungsprozesses zudem zusätzlich noch erweitert werden, indem der Teil der Bandage, in dem der Unterarm ruht, weggelassen wird und nur noch der Oberarm gesichert wird. Hierdurch ist eine frühfunktionelle Nachbehandlung möglich.

Es wird zwar diskutiert, dass nach Luxation die Ruhigstellung in 0°-Rotation und 30°-Abduktion mit Abduktionskissen einer Ruhigstellung ohne Abduktion und in leichter Innenrotation überlegen ist. Da dies aber nicht endgültig geklärt zu sein scheint, setzen wir aus Gründen der Praktikabilität und des Tragekomforts eine solche Bandage in aller Regel nicht ein.

Neurologischer Schnellcheck nach Schulterreposition

Bei einer Schulterluxation sind vor allem der N. axillaris, aber auch der Plexus brachialis gefährdet. Als orientierenden neurologischen Schnellcheck nach Schulterreposition empfehlen wir, Folgendes routinemäßig zu überprüfen und zu dokumentieren:

N. axillaris

• Sensibilität im Bereich M. deltoideus im Seitenvergleich • Innervation des M. deltoideus durch Anspannungsversuch

Plexus brachialis

• Sensibilität der Arme und Hände im Seitenvergleich • Innervation von M. biceps- und M. triceps brachii durch Anspannungsversuch • Innervation der Handmuskulatur durch Abspreiz- und Anspreizversuch der Finger

Neues und Bemerkenswertes

Gelenkinjektionen: Hygienerichtlinien unbedingt beachten

In der letzten Ausgabe von IM FOKUS unter dem Thema „Omarthrose“ wurden u. a. die intraartikuläre Injektionstechnik an der Schulter und die hierbei erforderlichen Hygienemaßnahmen beschrieben. Die Kommentare einiger unserer Leser zu den genannten Hygienemaßnahmen halten wir für sehr interessant und möchten sie deshalb hier kurz aufgreifen und Stellung nehmen: Gerade erfahrene Kollegen äußerten, dass sie das Tragen von sterilen Handschuhen bei intraartikulären Injektionen für obsolet erachten, da sie mit dem Injektionsareal nach erfolgter Desinfektion nicht mehr in Berührung kämen. Auch wenn der Einwand prinzipiell sicherlich richtig ist, raten wir dennoch dringend zum Tragen steriler Handschuhe. Die aktuellen Empfehlungen der Fachgesellschaften hierzu sind eindeutig. So wird dies von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) Arbeitskreis Krankenhaus und Praxishygiene sowie dem Robert-Koch-Institut (RKI) Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention gefordert. Auf diesen Empfehlungen basiert im Falle eines Rechtsstreits im Übrigen auch die Rechtsprechung. Die genauen Richtlinien finden Sie unter www.awmf.org bzw. www.rki.de jeweils unter dem Stichwort „intraartikuläre Injektionen“. Wir denken, dass der Aufwand des Tragens steriler Handschuhe in einem vernünftigen Verhältnis steht zur Sicherheit für unsere Patienten und – im Rechtsfall – für uns selbst.

Skiunfälle: Kunstschnee ist ein Problem

Zwar ist das Unfallrisiko auf den Pisten in den vergangenen Jahren dank moderner Sicherheitsbindungen, Protektoren und Helme gesunken, doch zugleich nimmt offensichtlich die Schwere der Verletzungen zu. Schuld sind zu hohe Geschwindigkeiten und Kunstschnee, so Experten des Deutschen Skiverbands (DSV). Die Pisten sind platter gewalzt als früher, ohne Hügel und Buckel. So hält der immer knappere Schnee länger. Gerade die Piste aus Maschinenschnee ist jedoch eher hart und schnell, fast wie beim Abfahrtslauf der Profis. Hinzu kommt, dass Skifahrer ihren Sport immer häufiger auf schmalen Schneebändern zwischen braunen Bergrücken betreiben müssen. Dies birgt zusätzliche Gefahren – etwa für Zusammenstöße aufgrund des begrenzten Platzes oder wenn Wintersportler die Kontrolle über Skier oder Snowboard verlieren und über die Piste hinausschießen.
Der Deutsche Skiverband (DSV) geht davon aus, dass 4,2 Millionen Deutsche regelmäßig auf die Ski steigen. Hochgerechnet verletzten sich in der Saison 2015/2016 rund 42.000 Wintersportler so, dass sie eine ärztliche Behandlung brauchten. Dabei stieg die Zahl derer, die im Krankenhaus landeten, im Vergleich zur Vorjahressaison um rund 600 auf 7.300.
Besonders häufig von Verletzungen sind weiterhin Knieund Schultergelenke betroffen. Erstaunlich sind bei diesen Verletzungen jedoch die Geschlechtsunterschiede. So liegt die Verletzungsquote des Kniegelenks bei Frauen bei 43,3 %, bei Männern hingegen lediglich bei 18,3 %. Umgekehrt ist es bei Schulterverletzungen. Hier liegt die Quote der Männer bei 20,5 % bei Frauen jedoch lediglich bei 7,7 %. Eine eindeutige Erklärung für den Geschlechterunterschied kann nicht gegeben werden.
Dass gute Vorbereitung, kontrolliertes Fahrverhalten sowie das Meiden von Alkohol auf der Piste das Unfallrisiko deutlich senken, ist jedem bekannt. Leider wird dies jedoch noch immer zu wenig beachtet.

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