Die lumbale Skoliose im Erwachsenenalter führt oftmals zu massiven Rückenschmerzen und dadurch eingeschränkter Lebensqualität. Die dreidimensionale Verkrümmung der Wirbelsäule ist in diesen Fällen über Jahre entstanden und meist Folge asymmetrischer degenerativer Veränderungen der Bandscheiben, die zum Drehgleiten einzelner Segmente und im weiteren Verlauf zum Vollbild der lumbalen Skoliose führen.
Radikuläre Beschwerden können durch Spinalkanalstenosen und/oder Foramenstenosen entstehen. Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, um eine gezielte Behandlung einzuleiten. Während noch vor einigen Jahren die Skoliose im Erwachsenenalter nur selten invasiv behandelt wurde, ist die operative Korrektur heute dank modernster Techniken eine Erfolg versprechende Option geworden.
Wir möchten Ihnen in dieser Ausgabe von IM FOKUS einen Überblick über die Symptome, Ursachen, Diagnostik sowie aktuelle Behandlungsstrategien der degenerativen lumbalen Skoliose geben.
Eine Skoliose ist eine nicht aktiv kompensierbare, seitliche Verbiegung der Wirbelsäule in der Frontalansicht bei gleichzeitiger Abflachung des sagittalen Profils und Rotation einzelner Wirbelkörper um die eigene Achse. Ab einem Krümmungswinkel von 10 Grad liegt per Definition eine
Skoliose vor. Grundsätzlich ist zwischen der primären juvenilen idiopathischen Skoliose des Kindes- und Jugendalters und der sekundär, meist durch Degeneration entstandenen Skoliose des erwachsenen Menschen zu unterscheiden.
Im Folgenden wird ausschließlich die im Erwachsenenalter neu entstandene Skoliose – die sog. De-novo-Skoliose – behandelt.
Lumbale Skoliosen im Erwachsenenalter sind in der Mehrzahl auf degenerative Veränderungen der Wirbelsäule zurückzuführen. Am Anfang der Entwicklung einer Lumbalskoliose steht immer das Drehgleiten, meist degenerativ bedingt. Ein asymmetrischer Verschleiß der Bandscheiben
und Facettengelenke mit einseitiger Höhenminderung bedingt eine ungleiche Lastverteilung der Wirbelsegmente.
Wenn die daraus resultierende Instabilität durch den Muskelbandapparat nicht aufgefangen werden kann, kommt es zum Kippen eines oder mehrerer Wirbelkörper. Durch die gelenkige Verbindung der Wirbelkörper zueinander wird diese Kippung durch eine Drehung begleitet (Drehgleiten).
Ist dieses Erscheinungsbild ausgeprägt und kann nicht aktiv kompensiert werden, können auch die benachbarten Segmente der Wirbelsäule in diese Dreh-Gleitbewegung hineingezwungen werden, sodass eine längerstreckige Verkrümmung der jeweiligen Wirbelabschnitte entsteht. In
einem solchen Fall spricht man von einer „De novo“-Skoliose.
Adulte De-novo-Skoliose im Röntgenbild. Man beachte die Krümmung in der Frontalebene in Kombination mit einer Rotation der Wirbelkörper um die eigene Achse. Im seitlichen Röntgenbild ist das sagittale Profil abgeflacht.
Seltener ist die De-novo-Skoliose als Folge von Verletzungen, entzündlichen Erkrankungen, Osteoporose, Tumoren oder durch die Schwächung muskulärer und/oder struktureller Elemente der Wirbelsäule nach Voroperationen.
Häufig besteht eine Kombination aus Bandscheibendegeneration und Osteoporose, die sich gegenseitig verstärken und die Wirbelsäulenverkrümmung bei einer De-novo-Skoliose begünstigen.
Leitsymptom der adulten degenerativen Skoliose ist fast immer ein lumbaler Rückenschmerz, der vor allem unter Belastung auftritt. Die Stärke der Beschwerden ist dabei in der Regel abhängig vom Grad der Seitabweichung der Wirbelsäule und der Subluxation einzelner Wirbelkörper sowie den muskulären Kompensationsmöglichkeiten. Kommt es im fortschreitenden Krankheitsverlauf zu einer Kompression neuraler Strukturen, z. B. durch eine Einengung des Wirbelkanals (=Spinalkanalstenose) oder der Nervenaustrittspunkte der Wirbelsäule (=Foramenstenose), treten zusätzliche radikuläre Symptome auf. Dazu gehören neben dem typischen Beinschmerz, der zu einer Verkürzung der Gehstrecke führen kann (Claudicatio spinalis), auch Lähmungen und Sensibilitätsstörungen oder vegetative Symptome (v. a. Blasen- und
Mastdarmstörungen). Schmerzhafte Muskelverhärtungen sind ebenfalls Folge der dreidimensionalen Deformität, die in einer pseudoradikulären Schmerzsymptomatik münden können, d. h. einer diffusen Schmerzausstrahlung in beide Oberschenkel.
Klinische Symptome bei degenerativer Skoliose
Entscheidend für eine zielgerichtete Therapie ist das frühzeitige Erkennen der Wirbelsäulenverkrümmung. Neben einer ausführlichen Erhebung der Krankengeschichte ist eine sorgfältige klinische Untersuchung erforderlich, um insbesondere die Statik der Wirbelsäule zu untersuchen und
Nervenwurzelkompressions-Syndrome zu erkennen und in ihrem Ausmaß zu beschreiben (Schmerzen, Missempfindungen, Lähmungen etc.). Zudem geben bildgebende Verfahren Aufschluss über den Grad der Degeneration und Deformität der Wirbelsäule sowie über das Ausmaß zentraler und foraminaler Stenosen.
Eine Übersichtsaufnahme der gesamten Wirbelsäule in zwei Ebenen dient der Darstellung einer Lotabweichung, einer Berechnung der Krümmungswinkel nach Cobb und der sakro-pelvinen Balance und als Verlaufskontrolle. Bei De-novo-Skoliosen zeigt sich meist ein Lateralgleiten bei L4/L5 und L3/4. Die Lendenlordose ist deutlich abgeflacht.
Funktionsaufnahmen der Lendenwirbelsäule im Stand (Flexion nach vorne, Extension nach hinten, Seitneigung) dienen zur Abklärung einer Instabilität einzelner Bewegungssegmente im Sinne eines Wirbelgleitens und um noch flexible Wirbelsäulenabschnitte von knöchern „fixierten“
Abschnitten zu unterscheiden.
Zur Darstellung des Spinalkanals und der Neuroforamina sowie der darin verlaufenden Neurostrukturen wie Rückenmark, Cauda equina und segmentalen Nervenwurzeln ist eine MRT-Aufnahme der Lendenwirbelsäule am besten geeignet. Bei Patienten, die einen Herzschrittmacher tragen oder an Platzangst leiden, kann alternativ die ComputerTomografie (CT) eingesetzt werden. Aber auch invasiv-diagnostische Maßnahmen wie Facettenblockaden und Wurzelblockaden können differenzialdiagnostisch hilfreich sein.
Die Therapie der degenerativen lumbalen Skoliose richtet sich in erster Linie nach der klinischen Symptomatik des Patienten und dem subjektiven Leidensdruck. Allein der Grad der frontalen Wirbelsäulenverkrümmung ist nicht ausschlaggebend; ebenso wichtig ist das sagittale Profil.
Für die Entscheidung, ob eine konservative oder operative Behandlung angestrebt wird, spielen auch das Alter, Begleiterkrankungen, funktioneller Anspruch und Lebenserwartung des Patienten eine wesentliche Rolle.
Die konservative Therapie sollte in erster Linie darauf abzielen, die Instabilität zu kompensieren. Dies gelingt vor allem durch ein gezieltes muskuläres Trainingsprogramm. Dabei spielt die Stärkung der tiefen Bauch- und Rückenmuskulatur eine wesentliche Rolle. Eine Korsettbehandlung sollte nur in Einzelfällen (z. B. bei Morbus Parkinson) verordnet werden, da sie dem muskulären Aufbau entgegenwirkt.
Gleichzeitig sollte eine medikamentöse, analgetische Behandlung erfolgen, die sich an den Symptomen des Patienten orientiert. Je nach Stärke der Beschwerden kommen nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac, ggf. in Kombination mit Muskelrelaxantien, zum Einsatz. Sie zielen darauf ab, mögliche Entzündungen zu lindern und die verkrampfte Muskulatur zu entspannen. Für eine langfristige Anwendung sind sie aufgrund der gefährlichen Nebenwirkungen v. a. auf die Nierenfunktion nicht geeignet.
Injektionen mit einem lokalen Betäubungsmittel und einem lang wirkenden Corticosteroid an die Nervenwurzel des komprimierten Wirbelsäulenabschnittes (periradikuläre Therapie, PRT) oder direkt in den Wirbelkanal (Single-ShotPeridural-Anästhesie, SSPDA) können helfen, radikuläre Schmerzen und Beinschmerzen wirkungsvoll zu lindern.
Da die Ursache der Schmerzen, der Verlust der statischen Balance der Wirbelsäule, jedoch bestehen bleibt, sind sie zumeist jedoch nur von zeitlich begrenztem therapeutischen Nutzen. Je nach vorherrschender Symptomatik werden auch Facettengelenksblockaden oder ISG-Infiltrationen angewendet.
PRT (=periradikuläre Therapie) unter CT-Kontrolle
Erst wenn alle konservativen Maßnahmen ausgereizt sind, sollte eine Operation in Erwägung gezogen werden. Dies ist der Fall bei progredienten lokalen Schmerzen, welche die Lebensqualität des Patienten stark beeinflussen, bei fortschreitender Schädigung der Nervenwurzeln mit Lähmungserscheinungen oder Störungen der Blasen- und Mastdarmfunktion, bei einer ausgeprägten Beinschmerzsymptomatik sowie bei einer progredienten Fehlhaltung mit starker Behinderung des aufrechten Ganges.
Die Indikation zur Operation sollte immer sorgfältig überprüft werden!
Die Behandlungsmöglichkeiten reichen von der minimalinvasiven dekompressiven Operation mit und ohne Fusion einzelner Segmente bis hin zur aufwendigeren langstreckigen Korrekturspondylodese bei Patienten mit starker Deformität. Während bei lokalen Nerveneinengungen in gewissen Fällen mikrochirurgische Eingriffe ausreichen können, sind vor allem bei parallel bestehenden sagittalen Deformitäten in vielen Fällen komplexe Rekonstruktionen notwendig.
Liegt keine relevante Instabilität vor, kann in einigen wenigen Fällen eine Dekompression ausreichend sein, um eine vorherrschend radikuläre Symptomatik zu bessern. Diese Patienten sind in der Regel älter und eine Zunahme der Skoliose sollte durch Nachuntersuchungen über die Zeit
ausgeschlossen worden sein. In den meisten Fällen ist die alleinige Dekompression jedoch nicht zielführend, da eine mögliche Destabilisierung aufgrund des Eingriffs die Skoliose sogar noch verstärken kann.
Bei der Mehrzahl der Patienten mit degenerativer Skoliose ist jedoch neben einer Dekompression eine Fusion mehrerer Wirbelsäulensegmente notwendig, um eine stabile Achse der Wirbelsäule in der sagittalen und frontalen Ebene wieder herzustellen. Dabei gilt: Die Länge der Fusionsstrecke sollte so kurz wie möglich und so lang wie nötig gehalten werden.
Während es bei jüngeren Patienten ausreichend sein kann, nur ein oder zwei Wirbelsegmente zu fusionieren, ist bei älteren Patienten, deren Knochenstruktur aufgrund von Osteoporose oder Osteopenie weniger stabil ist, eine Korrektur meist mehrerer Segmente notwendig. Die Länge der Fusion richtet sich nach der Länge der Skoliose (von Endwirbel zu Endwirbel), sollte auf einer stabilen Zone an der unteren LWS ruhen und nicht an Übergansregionen enden (z. B. am thorako-lumbalen Übergang auf Höhe des 1. Lendenwirbels).
Linkskonvexe lumbale Kyphoskoliose bei ausgeprägter postmenopausaler Osteoporose und Z. n. mehrfachen Kyphoplastien
Durchgesetzt haben sich dorsale Schrauben-Stab-Systeme, vor allem unter Verwendung interkorporeller Platzhalter aus Kunststoff oder Titan (Cages), welche die ursprüngliche Höhe und Neigung der Bandscheibe wiederherstellen und zu einer sekundären knöchernen „Fusion“ der beiden benachbarten Wirbel führen. Durch eine Fixierung der betroffenen Wirbelkörper in ihrer ursprünglichen Stellung wird die Stabilität im Halte- und Bewegungsapparat wiederhergestellt. In der Folge lösen sich die schmerzhaften reflektorischen Muskelverspannungen. Ein in diesem Falle übliches und häufig angewandtes Verfahren ist die sogenannte TLIF (Transforaminal Lumbar Interbody Fusion) oder PLIF (Posterior Lumbar
Interbody Fusion). Hier erfolgt die Stabilisierung von dorsal.
Techniken TLIF, PLIF
Gezielte Dekompression
Korrekturspondylodese
Postoperative Kontrolle nach dorsaler Korrekturspondylodese Th10 bis Ileum
Nach einer lumbalen Fusionsoperation kann der Patient schon am ersten Tag nach dem Eingriff aus dem Bett aufstehen. Er erlernt Techniken, die es ihm ermöglichen, sich in den ersten Wochen nach der Operation rückenschonend zu bewegen. Sitzen ist in der Regel sofort möglich. Schritt
für Schritt erlangt der Patient seine alte Mobilität und Selbstständigkeit zurück. Nach ca. 7 bis 10 Tagen kann der Patient aus der Klinik entlassen werden. Im Anschluss sollte weiterhin eine ambulant stabilisierende Krankengymnastik durchgeführt werden, um die Rumpfmuskulatur zu kräftigen.
Eine Mobilisation der LWS ist dagegen nicht gewünscht, sie würde dem ursprünglichen Operationsziel, die Statik eines Wirbelsäulenabschnittes zu verbessern und diesen dabei zu „versteifen“, auch zuwiderlaufen. Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollten aus diesem Grund frühestens nach sechs Wochen durchgeführt werden, es sei denn, andere Komorbiditäten erfordern die direkte postoperative Rehabilitation.
Es gibt heute dank modernster Implantate und Techniken die Möglichkeit, Skoliosen im Erwachsenenalter operativ zu korrigieren und damit die Lebensqualität der Betroffenen deutlich zu verbessern. Das operative Vorgehen hängt dabei neben dem radiologischen Erscheinungsbild der Skoliose und deren Progressionsrate immer auch vom Alter des Patienten, Begleiterkrankungen und subjektivem Leidensdruck ab. In der Regel wird eine dekomprimierende Korrekturspondylodese durchgeführt. In ausgesuchten Fällen, vor allem bei jüngeren Patienten, kann es ausreichend sein, nur ein oder zwei Wirbelsegmente zu fusionieren. Die Indikation zur Operation sollte jedoch immer erst nach Ausschöpfen
aller zur Verfügung stehenden konservativen Möglichkeiten gestellt werden.